Dokumentation

Memory Stations Ein partizipatives, digitales Archivprojekt


BE A PUBLIC HISTORIAN war der Aufruf zum Besuch der Memory Stations. Diese waren im Frühjahr 2019 an 9 verschiedenen Orten in 5 Städten aktiv. Ein*e Public Historian ist in diesem Kontext eine Person, die durch das Teilen ihrer persönlichen, familiären oder gemeinschaftlichen Erinnerungen zu einer Kartierung der öffentlichen und politischen Geschichte beiträgt. Das Projekt sieht in persönlichen Erinnerungen Vermächtnisse, die sich durch den Akt des Teilens mit anderen Personen zu einem Gesamtkontext zusammenfügen.

Jede*r ist ein Archiv, denn jede*r gehört einer Zeit an. Die Memory Stations wurden in verschiedenen Stadtvierteln als Primäreinrichtungen zur Mobilisierung dieser Public Historians eingerichtet. In Bochum, Köln, Dortmund, Düsseldorf und Essen wurden sie in Zusammenarbeit mit der ADKDW von lokalen Künstler*innen, Kurator*innen und Kunstinitiativen gestaltet und betrieben. Hierbei entwickelte jede Memory Station eine eigene Strategie zur Pflege des Andenkens der öffentlichen Kultur des jeweiligen Ortes, entsprechend der künstlerischen und politischen Verankerung der gastgebenden Initiativen. Anschließend entwickelten die ‚Hauptstationen‘ mithilfe von Workshops, Vorträgen, Straßeninstallationen, Hausbesuchen, Student*innentreffen und Gemeinschaftsfesten weitere ‚Unterstationen‘. Ziel des Projektes war es, Wissen und Erfahrungen zu bündeln und freizusetzen, die zuvor versteckt in vergessenen Archiven, Wohnhäusern, stillgelegten Fabriken, belebten Einkaufszentren, Routen von Lebensmitteltransportern, Seitenstraßen, von Schließung bedrohten Kinosälen, Cafés und Buchläden oder auch verworfenen Forschungsarbeiten waren.
Die Memory Stations sind zum Umherschweifen da, man durchkreuzt sie, verweilt, trägt Dinge in ihnen herum.

Die ALTE FEUERWACHE mit ihren vielen Terrassen, Kellern, Zwischengeschossen, Labyrinthen und Treppenhäusern wurde im Jahr 1890 als Feuerwache erbaut. Später wurde es unter anderem zu einem Filmstudio, Veranstaltungsort für Festivals, Kinder- und Graffitipark, Treffpunkt für Aktivist*innen und einer Gemeinschaftsbibliothek und Kunstgalerie. Dem Gebäude als Zeitzeuge der Veränderungen des Viertels über die Jahrhunderte wurde mit einer Performance Tribut gezollt.

COPY IT im Academyspace: nur für Diebe und Raubkopierer – von Büchern, Kunstwerken, Ideen argumentierte für die Rechte und Strategien des Vervielfältigens von Wissen und Informationen als Beitrag zum Teilen von Erinnerungen und Erfahrungen.

EMANZENEXPRESS_GEMEINSAM SIND WIR GEMEINER in Bochum war ein vom atelier automatique entwickelter Raum für die kollektive Auseinandersetzung mit der Geschichte des lokalen feministischen Widerstands und dessen Vermächtnis.

M.S. KALK kartierte den Stadtteil auf der ‚anderen‘ Seite des Rheins. Dies geschah mit Gemeinschaftsspaziergängen, kollektiven Modellbauten, Listening Sessions, Straßenfesten und der Aufbewahrung und Ausstellung von Erinnerungsobjekten in Häusern und Geschäften.

NK TAXI von Noordkaap nahm die Besucher*innen mit auf eine schwindelerregende Fahrt auf der Route der stillgelegten Kölner Automobilindustrie. Die Reise endete in einer Zukunft, in der analoge Autos angesichts einer digital überwachten Beschleunigungs- und Wohnkultur nur noch in der Erinnerung existieren.

RE:FRAMING LICHTSTRASSE kartierte im Rahmen des Ehrenfelder CityLeaks Urban Art Festivals den Wandel des ehemaligen Industrieviertels in einen Anlaufpunkt für Kreative. Dabei präsentierten sie die Arbeiten designierter Künstler*innen und Forscher*innen als Street Art.

SOLID SKILLS, organisiert von WerkStadt/PACT Zollverein, trug Strategien des täglichen Überlebens der migrantischen Communitys im Norden Essens zusammen – Schriften, Handwerksarbeiten, Essen, Vorträge und Performances.

STUDIO FRIENDSHIP stellte wichtige öffentliche Orte als Schnittstellen für Erfahrungsberichte von Menschen unterschiedlicher Herkunft in Düsseldorf zur Verfügung.

TONSPUREN ZUR LINKEN war ein Aufnahme- und Tonstudio in Dortmund und beschäftigte sich mit den überlieferten Geschichten türkischstämmiger Gastarbeiter*innen, die in den Industrieregionen Deutschlands zunehmend als politische Bürger*innen auftraten.

Ein Teil dieser Bestrebungen waren rein erfahrungsbezogen, andere wiederum geradezu taktil. Unter dem Titel Memory Lab fanden in den verschiedenen Memory Stations eine Reihe diskursiver Veranstaltungen und Gespräche statt. memorystations.online war ein weiterer Knotenpunkt, der die taktilen Anteile des Projekts sammelte und sie in digitalen Labyrinthen verteilte. Diese konnten über eine dichte Reihe von Schlagwörtern und Hotspots hinweg durchquert werden. Hiermit wollten wir die vielen verschiedene Wege aufzeigen, mit denen man von einer Erinnerung zur nächsten reisen kann – um auf dem Weg möglicherweise auf unvorhergesehene Schätze zu stoßen. Die Seite wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren als öffentlich zugängliches Portal betrieben. Obwohl nicht mehr online verfügbar, ist der Geist des Projektes noch immer in zahlreichen autonom agierenden lokalen Archiv- und Kunstinitiativen zu finden, die sich seither in der Region gebildet haben. Wie von uns erhofft wurden persönliche Erinnerungen in den Bereich der öffentlichen Kultur überführt.

Mit diesem Video wollen wir die Essenz des Projektes kommunizieren – seine Vorstellungskraft, seine Energie, seine Möglichkeiten. Wir betrachten es als Manifest für zukünftige Initiativen, die immer mehr Public Historians aktivieren und somit die Neudefinition einer Kultur der Öffentlichkeit vorantreiben.

Videozusammenstellung und -bearbeitung: Claudia List