Ausstellung

GLOBAL POSITIONING SYSTEM NOT WORKING

20 04 2018 - 08 07 2018
Mit SHAHIDUL ALAM, AGHA SHAHID ALI, AHMAD GHOSSEIN, RAFAEL LOZANO-HEMMER, RAJKAMAL KAHLON, ‘TRIBUNAL NSU-KOMPLEX AUFLÖSEN’, ULF AMINDE / MAHNMAL KEUPSTRAßE

Das Global Positioning System, besser bekannt unter dem Kürzel GPS, wurde einst vom US-Verteidigungsministerium entwickelt, ist aber längst zum festen Bestandteil unseres Alltags geworden. Unsere Positionen im Raum sind dabei jedoch immer schon Wegmarken des Verschwindens: In Crossfire von SHAHIDUL ALAM etwa verwandeln sich belebte Straßen in Bangladesch in verlassene Friedhöfe – eine melancholische Stadtlandschaft, in der noch die Schritte des systematischen Polizeiterrors und die Morde der vergangenen Nacht nachhallen, deren Schauplätze der Fotokünstler und Menschenrechtsaktivist aufsucht und dokumentiert. Die Gesichter der ermordeten Menschen erscheinen gleich darauf mithilfe von RAFAEL LOZANO-HEMMERs Gesichtserkennungskamera wieder, wenn sie unter den Betrachtern nach Doppelgänger*innen vermisster Personen sucht.

Dabei ist das Verschwinden kein in sich geschlossener, einmaliger Akt. Weder Menschen noch Orte, weder Beweismittel noch ganze Kulturen verschwinden nur einmal und für immer. Stattdessen geschieht dies stückweise und auf Raten. Dem drohenden Verschwinden treten Versuche des Bewahrens entgegen, und dem Sog des Untergangs sind wiederkehrende Momente des Wieder-Auftauchens eingeschrieben, die einander verdoppeln, überlagern und ergänzen. Gesichter und Gesichtszüge verfolgen uns auch in RAJKAMAL KAHLONs afghanischen Männerporträts, die im Rahmen eines kolonial-anthropologischen Projekts aufgenommen wurden und die durch gefundene Wärmebildaufnahmen des von Amerika geführten Bombenangriffs auf Afghanistan im Jahr 2002 überlagert werden.

Die Worte des im Exil lebenden kaschmirischen Dichters AGHA SHAHID ALI klingen in der einsamen Stimme von Maream Hmadeh wieder, der Mutter des Künstlers AHMAD GHOSSEIN, die während des zehnjährigen Bürgerkriegs im Libanon von ihrem Mann getrennt war und ihm Briefe in Form von besprochenen Tonkassetten schickte. Die Liebesgeschichten von Agha Shahid Ali und Maream Hmadeh verkörpern zugleich die politischen Geschichten ihrer Länder, kondensiert zu persönlichen Erzählungen von Verlust und geisterhafter Liebe, von Sehnsucht und womöglich tragischer Erinnerung.

In Köln sind die Narben des Bombenanschlags durch den NSU vom 9. Juni 2004 in der Keupstraße längst nicht verheilt: Das Mahnmal, das der Künstler ULF AMINDE an der Ecke Keupstraße/Schanzenstraße plant, soll nicht nur an den Anschlag, sondern auch an die Jahre der Verleumdung erinnern, die Opfer zu Tätern machten.

SHAHIDUL ALAM (* 1955 in Dhaka) ist Fotograf, Autor, Kurator und Aktivist. Seine fotografischen Arbeiten waren u. a. am Museum of Modern Art in New York, in der Royal Albert Hall und in der Tate Modern in London zu sehen. Als Vortragsredner war er in Harvard, Stanford, Oxford und Cambridge zu Gast, außerdem war er Jurymitglied des Fotowettbewerbs World Press Photo. Alam hat eine Gastprofessur an der Sunderland University (GB) inne und ist Beiratsmitglied der National Geographic Society.

Der Dichter AGHA SHAHID ALI (1949–2001) wuchs in Kaschmir auf und migrierte 1967 in die USA. Ali verfasste mehrere Bände mit Gedichten, einzelne Arbeiten wurden darüber hinaus in der Anthologie American Alphabets: 25 Contemporary Poets (2006) und in vielen anderen Sammelbänden veröffentlicht. Als Dozent für Creative Writing war er an verschiedenen Universitäten und Colleges in Indien und in den USA beschäftigt. Darüber hinaus arbeitete er als Übersetzer und Herausgeber.

Der Künstler und Filmemacher ULF AMINDE (* 1969 in Stuttgart) befasst sich in seinen Arbeiten mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen und erörtert beispielsweise das Potenzial von Selbstermächtigungen oder von performativen Aspekten im Dokumentarfilm. Um an die Opfer und Betroffenen der terroristischen Anschläge des NSU in der Kölner Probsteigasse (2001) und in der Keupstraße (2004) zu erinnern, entwickelt er den Film und das partizipatorisch angelegte Projekt „Mahnmal Keupstraße“.

AHMAD GHOSSEIN (* 1981 in Beirut) ist Künstler und Filmemacher. In seinen von dokumentarischem Material ausgehenden Arbeiten kombiniert er Videokunst, Installationen und Fotografie. Seine Werke waren in zahlreichen Museen zu sehen, darunter im Museum of Modern Art in New York, im Oslo Kunstforening, im Nam June Paik Art Center in Südkorea sowie auf bedeutenden Filmfestivals wie der Berlinale, bei den Filmfestspielen in Cannes oder beim Dubai Film Festival.

Der Künstler RAFAEL LOZANO-HEMMER (* 1967 in Mexiko City) ist bekannt für seine elektronischen interaktiven Installationen, die sich an der Schnittstelle zwischen Architektur und Performance Art bewegen. 2007 gestaltete er den Mexikanischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. Solo-Ausstellungen waren u. a. am Museum of Modern Art in San Francisco, am MUAC Museum in Mexiko City und am Museum of Contemporary Art in Sydney zu sehen. Rafael Lozano-Hemmer lebt und arbeitet in Montreal und Madrid.

Die Künstlerin RAJKAMAL KAHLON (* 1974 in Auburn, USA) lotet in ihren interdisziplinär orientierten Arbeiten die Grenzen zwischen Malerei, Fotografie und Skulptur aus. Ihre Werke waren in vielen namhaften Museen sowie auf Kunstbiennalen in Nordamerika, Europa, im Mittleren Osten und in Asien zu sehen. Derzeit ist sie mit der Solo-Ausstellung Staying with Trouble im Weltmuseum Wien vertreten. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.

Das Bundesweite Aktionsbündnis ‚NSU-Komplex auflösen’ besteht seit 2014 aus zahlreichen Initiativen aus ganz Deutschland, die sich mit strukturellen Rassismus, dem NSU-Komplex, Gedenkkultur beschäftigen und sich für Perspektiven von Betroffenen rassistischer Gewalt einsetzen.