• Mi 20 09 – So 10 12 2017 •
Stealing from the West
mit LAWRENCE ABU HAMDAN, YURI ALBERT, KADER ATTIA, YOUNES BABA-ALI, INES DOUJAK, TOM GOULD, RAMON HAZE (ANDREAS GRAHL, HOLMER FELDMANN), URIEL ORLOW, GOSHA RUBCHINSKIY, ULAY
Das Konzept kultureller Aneignung ist zuletzt Gegenstand einer hitzigen Debatte geworden. Die freie, spielerische Praxis des Übertragens und Zitierens von Texten aus „anderen“ Kulturen, die bisher als rein ästhetischer, irgendwie postmoderner Kunstgriff galt, wird unversehens als Ausbeutung entlarvt. Eine weiße, dominante Mehrheit nimmt sich, was ihr gefällt – zum Nachteil von indigenen Stimmen, People of Color und anderen, die kulturell und politisch unterdrückt werden.
Wir wenden uns hingegen einer anderen, von den aktuellen Diskussionen überschatteten Seite dieser Geschichte zu: der Strategie der kulturellen Gegenaneignung, die sich die Unterprivilegierten im postkolonialen Afrika oder im Europa der Migranten sowie jene am Rande Europas in der ehemals sozialistischen Welt zunutze machen. Die Diebe, Fälscher und widerständigen Akteure der Aneignung in dieser Ausstellung zeigen, dass das „Stehlen vom Westen“ und das Fälschen seiner Hochglanzprodukte kein Zeichen verspäteter Entwicklung ist. Im Gegenteil, handelt es sich doch hier um ein mächtiges Werkzeug des kulturellen Widerstands und ein Instrument postkolonialer Vergeltung. Gleichzeitig macht diese Strategie klar, dass jegliche „Hochkultur“, von Millionen Sklaven und kolonial Unterworfenen mit ihrem Leben bezahlt, nicht nur privilegierten Weißen gehört, sondern allen.
Bereits 1976, in einer frühen Intervention, brachte Ulay dies auf den Punkt, als er eines der beliebtesten Bilder aus der Neuen Nationalgalerie in Berlin stahl, Der Arme Poet (1839) von Carl Spitzweg (Hitlers Lieblingsmaler), nur um es in der Wohnung einer türkischen Einwandererfamilie aufzuhängen. Der Arme Poet ist kein Meisterwerk der Hochkultur, es repräsentiert aber einen Bereich der westlichen Kultur, der sogar noch erbitterter verteidigt wird: den bürgerlichen Wert der Sentimentalität und die verlogene Vorstellung von der „reinen“, nicht kommerziellen Kunst. Indem er dieses Gemälde rein symbolisch den in gewisser Weise Entrechteten schenkte, stellte Ulay das falsche Mitleid gegenüber den harmlosen Armen bloß, das den rührseligen Kern der Beliebtheit dieses Gemäldes ausmacht.
Die Ausstellung zeigt zunächst einige historische Beispiele tollkühner Zerstörung und Plünderung, die bewusste und programmatische politische Akte reproduzieren und postkoloniale Ansprüche geltend machen, vielleicht aber auch nur Racheakte darstellen. Die Pink Panthers sind eine legendäre Bande von Juwelenräubern aus dem ehemaligen Jugoslawien, die sich, wie zahlreiche Journalisten es formulierten, am Westen für die Zerstörung ihres sozialistischen Landes rächten. Denkbar auch, dass die Pink Panthers eine mildere und ironische osteuropäische Version der Black Panthers sind, die stolz ihr Anderssein zum Ausdruck bringen und sich der Gewalt verschreiben. In der Ausstellung erzählt ein Dokumentarfilm von Havana Marking (Meisterdiebe im Diamantenfieber – Die Geschichte der Pink Panther, 2013) ihre Geschichte. Ein weiteres kulturelles Phänomen ist die Lo-Life Crew – eine 1988 in Brooklyn gegründete Gang mit der gemeinsamen Leidenschaft, sich von Kopf bis Fuß mit Ralph-Lauren-Klamotten einzukleiden, die sie zuvor mit viel Raffinesse und Eleganz mitgehen ließen. Die kulturelle Zweckentfremdung bestand darin, sich gerade die Marke Ralph Lauren anzueignen, diesen Inbegriff des exklusiven weißen, amerikanischen Wohlstands, die Domäne der Wohlhabenden, die sich mit Golf, Skifahren und Segeln die Zeit vertreiben – eine Marke, die kaum einen stärkeren Kontrast bilden könnte zum Lebensstil in den Vierteln der Schwarzen und der Latinos. In der Ausstellung sind sie durch Archivmaterial sowie durch Tom Goulds Fotografien vertreten.
Diese Aneignung von Marken ist eine bewusste künstlerische Strategie, die junge Designer am Rande der „großen Modewelt“ verfolgen, so wie der in Moskau lebende Gosha Rubchinskiy, dessen gefälschte Tommy-Hilfiger-Logos kürzlich Schlagzeilen machten.
Die Plünderer-Skulpturen in Ines Doujaks Not Dressed for Conquering (2016) sind Teil ihres langjährigen Projekts Webschiffe/Kriegspfade, in dem sie den Zusammenhängen von Textilproduktion, Kolonialismus und Gewalt nachgeht. Sie stehen für die universelle Figur des Aufrührers, dessen Protest gegen das kapitalistische System in der Sprache des Konsumismus sofort eine radikale Form annimmt: Diebstahl. Indem sie die Reichen und kulturell Dominierenden bestehlen, eignen sich die Plünderer, die der monoethnischen Idee von Europa nicht entsprechen, ihren Platz unter der westlichen Sonne an, so wie Younes Baba-Alis illegale migrantische Straßenverkäufer im heutigen Italien, die den Namen des Landes stolz auf ihren Sweatshirts tragen (Italianisation, 2016).
Eine andere Art, „vom Westen zu stehlen“, wird von Künstlern aus den ehemals nicht kolonisierten, aber gleichwohl kulturell marginalisierten Randbereichen der „großen Welt“, aus Osteuropa oder der DDR, vertreten. Sie „fälschen“ spöttisch den westlichen Kanon der Moderne und bekennen sich zugleich offen zur mangelnden Qualität und technischen Unzulänglichkeit ihrer Imitation. Das ironische Narrativ des Scheiterns an der Originalität ist für den in Moskau geborenen Yuri Albert wesentlich. Eine seiner bahnbrechenden Serien, begonnen in den 1980er Jahren, befasst sich mit selbstironischen, augenzwinkernden „gescheiterten Kopien“ unterschiedlicher Stile des internationalen Künstlerkanons – während sie zugleich seine Originalität verkündet: „I am not Jasper Johns“, „I am not Lichtenstein“, „I am not Andy Warhol“. In seinem neuen Projekt, View from a Mountain (2014), besuchen Albert und andere Künstler den Mont Sainte-Victoire, den in Cézannes Werk allgegenwärtigen Berg in der Provence, um vermeintlich naive Ansichten sowohl von dem Berg als auch von dem Platz, an dem Cézanne mit seiner Staffelei gestanden haben könnte, zu malen.
Ein anderes Projekt, das sich mit dem Einfallsreichtum der kulturell Marginalisierten befasst, ist Der Schrank von Ramon Haze, ein Projekt, das in Leipzig in den 1990ern mit einem Buch und einer Reihe performativer geführter Touren begann. Die Meisterwerke von Klassikern der Moderne und heutigen Megastars, angeblich von einem ostdeutschen Kunsthistoriker zusammengetragen, ähneln verdächtig den kruden Produkten aus sozialistischen Fabriken, die im Wettstreit mit der westlichen Hochglanz-Konsumkultur unterlegen waren.
Die Künstler Kader Attia und Lawrence Abu Hamdan nähern sich wiederum einer anderen Figur des gegen den Westen gerichteten Plünderers – dem Rebellen, mit dem die Sprache der Kolonisatoren zur Sprache des Widerstands werden kann. Abu Hamdans Double-Take: Officer/Leader of the Chasseurs/Syrian Revolution Commanding a Charge (2014) erzählt davon, wie ein wohlhabender syrischer Geschäftsmann eine zeitgenössische Version von Théodore Géricaults Offizier der Gardejäger beim Angriff (1812) in Auftrag gab. Darin sollte der Offizier des französischen Kaiserreichs durch Sultan Basha al-Atrash (1891–1982) ersetzt werden, der in den Jahren 1925–1927 den syrischen Aufstand gegen die Franzosen anführte. Der Künstler Kader Attia setzt seine Forschungen über das visuelle Archiv mimetischer Objekte im Alltagsleben von Kolonisierten fort. Zu sehen sind Objekte aus vorgefertigten Elementen der westlichen Konsumkultur (Münzen oder Schmuck), die integriert, absorbiert und zu einem neuen Ganzen verschmolzen werden (gelegentlich zu einer Waffe) und die die repressive Macht imitieren in dem instinktiven Bemühen, sich die Freiheit wieder anzueignen, derer sie beraubt wurden.
The Crown Against Mafavuke (2016), ein neuer Film des in London lebenden Künstlers Uriel Orlow, basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1940. Damals warf das weiße Medizin-Establishment in Südafrika einem lokalen Kräuterheiler vor, er überschreite die Grenzen seiner „traditionellen“ Rolle. Mafavuke Ngcobo hatte damit begonnen, westliche Arzneien erfolgreich bei seinen weißen Patienten anzuwenden – ein wahres „Verbrechen“, für das er büßen musste. Gedreht in Pretorias Justizpalast, in dem später das Verfahren gegen Nelson Mandela stattfinden sollte, verschiebt der Film in einem fort Gender-Identitäten wie auch Markierungen ethnischer und sprachlicher Zugehörigkeit. Er hinterfragt die Begriffe des „Authentischen“ und „Reinen“ und zeigt, wie das Loblied auf „indigenes Wissen“ dazu dienen kann, „weiße Domänen“ zu schützen – beispielsweise das Recht, einer Profession nachzugehen und sich moderner Technologien zu bedienen.
Mi 20 9 2017 / 19:00
Ausstellungseröffnung und Performance
Öffnungszeiten:
Do / Fr 15:00–19:00
Sa / So 14:00–18:00
Ort: ACADEMYSPACE, Herwarthstraße 3, 50672 Köln
Freier Eintritt